Zur Herkunft des Enneagramm-Symbol


Jemand sandte mir ein im Internet gefundenes Foto.
Dieses Foto motivierte mich zu Nachforschungen:



Diese Steinplatte befindet sich in Anegundi. Anegundi ist Teil von Hampi, der Hauptstadt des letzten Hindu-Königreiches Vijayanagara. Das Königreich bestand vom 14. bis 16. Jh. und die Überreste gehören heute zum Weltkulturerbe der UNESCO. Es gab dort ein über 20 Jahre andauerndes Forschungsprojekt. Eine der ehemaligen Leiterinnen des Projektes, Prof. Anna L. Dallapiccola, teilte mir per e-mail mit:

"The 'flagstone' is a fragment of a ceiling. It is not an unusual piece. The carved motifs displayed on it are very common and are found in a number of buildings at the site. [...] As far as I am aware, this motif appears in the early years of the 15th cent." Leider war Ihres Wissens keiner der Projekt-Mitarbeiter des Vijayanagara Research Project "particularly interested in the meaning of the symbols carved on ceilings, pillars etc." Sie machte dann noch eine interessante Ergänzung: "My gut feeling is that the motif is partly Islamic-inspired (i.e. the rotating square) and partly Hindu-inspired (i.e. the lotus at the centre). We must not forget that there was a steady exchange of ideas between the Islamic Deccan and Vijayanagara, as evident, for instance, from the stucco decorations on the ceilings and little balconies at the interior of the Queen's Bath, on the stucco work on the Lotus Mahal etc. As a matter of fact, there is a very palpable Bahmani influence in a number of little 'details' in architecture and stucco work."

Interessant sind für mich die Hinweise, dass das Motiv "very common" sei, es einen Austausch zwischen der "Islamic Deccan and Vijayanagara" gab, Ihr Bauchgefühl in dem Motiv einen islamischen Einfluss sieht, und dass sie dies an dem "rotating square" festmacht.



Auf der vorigen Webseite zur Wortherkunft zitierte ich Eric Salmon:

"Die älteste Spur seines Neuner-Schemas geht bis auf 600 v.Chr. zurück. Das Enneagramm, also das Neuneck, war das neunte der zehn Siegel des Pythagoras." Und: "Zu einer Zeit, wo sich alle Wissensweitergabe mündlich vollzog, bediente man sich häufig geometrischer Figuren, die unter anderem als didaktische Hilfsmittel dienten. Pythagoras hatte zehn geometrische Figuren als Träger der symbolischen Bedeutung der zehn Ziffern von eins bis zehn entworfen. Später hat man sie die »zehn Siegel des Pythagoras« getauft. Beim Enneagramm handelt es sich um das neunte der zehn Siegel des Pythagoras." (Salmon [1997]/ 1998: 16, 218) Unter dem Text auf S. 218 ist das unregelmäßige Neuneck abgedruckt, das sich am gurdjieffschen Enneagramm-Symbol orientiert: 


Zu der Behauptung von Salmon sei Folgendes gesagt:

Erstens nennt Salmon keine Quelle für die Behauptung der "zehn Siegel des Pythagoras", sondern vermutet lediglich, "er habe diesen Hinweis aus dem Buch »Die großen Eingeweihten« von Edouard Schuré." (Lendt/ Schwarzlmüller 2004: 78; Link 1, Link 2) Treffend bemerken Lendt/ Schwarzlmüller zum Schuré-Buch: "Zumindest im recht umfangreichen Kapitel über Pythagoras war aber auch hier nichts Dementsprechendes zu finden. Stattdessen enthält es überbordende Phantasiebeschreibungen von Situationen, die Tagebuchcharakter haben, ..." (ebd.) Ich habe das Pythagoras-Kapitel bei Schuré ebenfalls gelesen und zusätzlich das gesamte Buch überflogen. Wie bereits Lendt/ Schwarzlmüller habe auch ich nichts gefunden. Das Schuré-Buch ist romanähnlich geschrieben und lässt sich angenehm lesen. Als Quellen für das mit Abstand längste Pythagoras-Kapitel nennt Schuré: Fabre d'Olivet: Goldne Verse des Pythagoras - Proclus: Die Orakel des Zoroaster, gesammelt in der Theurgie des Proclus - Just: Die Seherin von Provost - Chaignet: Pythagore et la philosophie pythagoricienne - Diogenes Laertius. Das Buch von Schuré ist als pseudo-wissenschaftliche Literatur einzustufen, bei dem zwischen eigener Dichtung und sauberer Quellenarbeit nicht zu unterscheiden ist. Schuré schwärmt geradezu von Fabre d'Olivet (1767-1825; "Fabre d'Olivet, dieser wunderbare Seher des prähistorischen Zeitalters der Menschheit, ..." [Schurè [1889]/ 121956: 39; vgl. auch S. 461f Anm. 47]), doch wie diese Quelle im Vergleich zur Quelle August Böckh (1785-1867) zu bewerten ist, können Sie aus den Darstellungen der entsprechenden Wikipedia-Webseiten ablesen - hier noch ein Link zur Einordnung der Goldenen Verse. Nachdem d'Olivet 1813 seine Schrift zu Pythagoras veröffentlicht hatte, begann 1819 mit Böckh durch eine Schrift zu Philolaos-Fragmenten die moderne Pythagoras-Forschung (vgl. Zhmud 2005: 135). Es wurde rund 150 Jahre über die Einschätzung der Philolaos-Fragmente gestritten, bis 1962/1972 Walter Burkert klarstellte, welche Fragmente authentisch sind und welche als Pseudopythagorica einzuschätzen sind (vgl. Zhmud 2005: 135) Schließlich ist auch die spätantike Quelle Diogenes Laertius nicht frei von Dichtung ("ein Autor, bei dem notorisch viel Gefälschtes steht"; Fehling 1985: 24). Doch Zhmud sieht Diogenes zumindest für Pythagoras als eine akzeptable Quelle - ganz im Gegensatz zu den oft zitierten Porphyrios und Jamblichos: "Die Analyse der von Diogenes herangezogenen Quellen hat gezeigt, daß es bei weitem nicht die schlechtesten sind, zudem ist seine Beziehung zu den Wundergeschichten innerhalb der Pythagoras-Tradition sehr viel verhaltener als die des Porphyrios oder Jamblichos." (Zhmud 1997: 49)

Zweitens habe ich im September 2011 den renommierten Altphilologen und Pythagoras-Experten Walter Burkert nach den zehn Siegeln des Pythagoras gefragt. Die Erwähnung solcher Siegel ist ihm nicht bekannt. Da Burkert bereits 1962 mit der Arbeit Weisheit und Wissenschaft zu Pythagoras habilitierte, dann 2006 den Band Mystica, Orphica, Pythagorica veröffentlichte und 2011 eine überarbeitete und erweiterte Auflage seines bereits 1977 erschienenen Werkes Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche herausgab, dürfen wir davon ausgehen, dass Burkert irgendwann in seinem langen Forscherleben davon erfahren hätte, wenn eine wissenschaftlich bedeutsame Quelle "zehn Siegel des Pythagoras" erwähnt hätte - und selbst wenn dem so wäre, wäre zu klären, welchen Wahrheitsgehalt eine solche Quelle hätte. Was die Zahlenlehre des Pythagoras angeht, finden wir bei Zhmud (2005) folgende Äußerungen: "Die Theorie der vollkommenen Zahl 10 ist aber eine akademische, spezifisch speusippische Doktrin, im vorplatonischen Pythagoreismus finden sich davon keine Spuren." (Zhmud 2005: 143; vgl. auch Burkert 1962: 63ff)
"Da der eigentliche Urheber der pythagoreischen Zahlenphilosophie weder bei Aristoteles noch bei Theophrast erscheint, hat die spätere Überlieferung diese Lücke mit »Pythagoras« ergänzt." (Zhmud 2005: 147) Zur Beurteilung der pythagoreischen Symbola (Sinnsprüche, die zum Teil "Analogien zwischen Zahlen und »Dingen« sind", ansonsten eher den Sprüchen der Sieben Weisen ähneln, oder einfach als seltsame Ratschläge erscheinen; ebd.) siehe Zhmud (1997: 93-104 und 2005: 147-149). Und zur Seelenwanderungslehre schreibt Zhmud: "Die Seelenwanderungslehre ist eng mit Pythagoras und den anonymen Pythagoreern verknüpft; bei den Pythagoreern, die uns namentlich bekannt sind, finden wir ganz andere Seelenlehren." (Zhmud 2005: 150) Zhmud findet auch Argumente gegen die Schamanismus-These und mögliche ekstatische Kulthandlungen bei Pythagoras. (Zhmud 1997: 107-116) Die Seelenwanderungslehre (Metempsychose) ist seiner Meinung nach keine Erfindung des Pythagoras, sondern "ist im Kontext der Transformation der griechischen Religion vom achten bis sechsten Jahrhundert zu sehen, die nicht zuletzt zu einer Änderung der traditionellen Vorstellung vom Menschen, seiner Beziehung zu den Göttern, seiner Seele führt, und auf diesem Hintergrund ohne weiteres erklärbar." (ebd.: 122; in Anm. 27 bemerkt Zhmud: "Der Verfasser einer speziellen Untersuchung der indisch-griechischen Kontakte hält die Übernahme der Metempsychose aus Indien für unmöglich (Karttunen. Op.cit., 112f)." Außerdem: "Zeugnisse, die diese Lehre mit den Namen konkreter Pythagoreer verknüpfen, gibt es nicht; dagegen kennen wir eine ganze Reihe von Fakten, die dem Glauben der Pythagoreer an die Metempsychose widersprechen." (ebd.: 125) Andererseits: "Fest steht, daß Pythagoras selbst und auch einige seiner Anhänger von der Seelenwanderung überzeugt waren. Die Namen dieser Anhänger kennen wir nicht, soweit nicht einige »Pythagoristen« dazu gehören, die in der mittleren Komödie genannt werden. Klar ist aber dieses: Man kann nicht jeden beliebigen Pythagoreer als Anhänger der Metempsychose vereinnahmen, nur weil er zur Schule gehört. Eine allgemeinverbindliche religiöse Lehre hat es im Pythagoreismus nie gegeben, genausowenig wie eine allgemeinverbindliche Philosophie." (ebd.: 126)

Drittens sei der Vollständigkeit halber der erbsenzählerische Hinweis erlaubt, dass Pythagoras 600 v. Chr. noch nicht lebte. Diogenes Laertius schätzte seine Lebensphase auf "Etwa 582-500 v. Chr." (Laertius [3. Jh.]/ 2008: 105) Die anscheinend gut recherchierte Wikipedia-Webseite datiert seine Lebensspanne von "um 570" bis "nach 510 v. Chr." Ich folge dem auf der Wikipedia-Seite mehrfach zitierten Leonid Zhmud, der sich 1990-92 intensiv mit dem frühen Pythagoreismus beschäftigte - er nennt den Zeitraum "um 570" bis "Mitte der 90er Jahre des fünften Jahrhunderts" (Zhmud 1997: 52, 55).

Die populäre Pythagoras-Meinung, die durch unsere Köpfe geistert, entspricht also entweder nicht dem Stand der Forschung, oder ist umstritten.



Auch wenn Salmon mit seinen Behauptungen ein bestehendes Gerücht in abgewandelter Form weiter verbreitete, so ist ihm für den Hinweis auf Schuré zu danken, weil dessen Buch gut das Spannungsfeld von Mythos und Wahrheit repräsentiert. Das 1889 in französisch veröffentlichte Original Les Grands Initiès (Die Großen Eingeweihten) ist vermutlich ein Spiegel des damaligen spirituellen Zeitgeistes (immerhin wurde das Buch ins Deutsche, Englische, Italienische und Russische übersetzt; in Russland erschien es 1914). In dem Buch behandelt Schuré die Personen Rama, Krishna, Hermes, Moses, Orpheus, Pythagoras, Plato und Jesus. Hier drei Zitate aus der Einleitung (Schurè [1889]/ 121956):
"Wenn wir von der experimentellen und objektiven Psychologie übergehen zur intimen und subjektiven unserer Zeit, die sich in Poesie, Musik und Literatur ausdrückt, so finden wir, daß ein ungeheurer Zug von unbewußtem Esoterismus sie durchzieht. Niemals vielleicht war das Sehnen nach dem geistigen Leben, nach der unsichtbaren Welt, das die materialistischen Theorien der Gelehrten und die Meinung der Welt zurückgedrängt hatten, ernster und wirklicher. Man findet dieses Sehnen in dem Bedauern, den Zweifeln, der düsteren Melancholie, bis hinein in die Lästerungen unserer naturalistischen Romanschriftsteller und unserer dekadenten Dichter. Niemals hat die menschliche Seele ein tieferes Gefühl gehabt von der Unzulänglichkeit, dem Elend, der Unwirklichkeit ihres jetzigen Lebens. Niemals hat sie sich glühender nach einem unsichtbaren Jenseits gesehnt, ohne dazu gelangen zu können, an es zu glauben." (ebd.: 25)
"Was ich hoffe bewiesen zu haben ist, daß die Lehre der Mysterien am Ausgangspunkt unserer Zivilisation steht; daß sie die großen arischen wie auch die großen semitischen Religionen geschaffen hat; daß das Christentum die ganze Menschheit dahin führt durch seinen esoterischen Gehalt und daß die moderne Wissenschaft in der Gesamtheit ihrer Bestrebungen wie durch Vorsehung dahin zielt; daß sie dort endlich wie in einem Hafen einlaufen müssen, um ihre Synthese zu finden." (ebd.: 27)
"Dieses Buch ist ganz entsprungen einer glühenden Sehnsucht nach der höchsten, vollständigen, ewigen Wahrheit, ohne welche die Teilwahrheiten nur Trug sind. Diejenigen werden mich verstehen, die, wie ich, das Bewußtsein davon haben, daß der gegenwärtige Zeitpunkt der Geschichte, mit seinen materiellen Reichtümern, vom Standpunkt der Seele und ihres unsterblichen Sehnens aus, nichts ist als eine traurige Wüste. Die Stunde ist ernst und die äußersten Konsequenzen des Agnostizismus machen sich fühlbar in der sozialen Auflösung. Für Frankreich wie für Europa handelt es sich um Sein oder Nichtsein. Es handelt sich darum, die zentralen, organischen Wahrheiten auf unzerstörbaren Grundlagen festzusetzen oder endgültig in den Abgrund des Materialismus und der Anarchie zu stürzen." (ebd.: 28)

An dieser Stelle macht es Sinn, kurz den Blick auf Rudolf Steiner (Link 2) und seine zweite Ehefrau Marie von Sivers (Link 2) zu richten (Heirat 1914). Steiner hatte 1907/9, 1911 und auch 1916 die Vorwörter für die erste, zweite und dritte Auflage der dt. Übersetzung Die Großen Eingeweihten geschrieben (im dritten Vorwort nennt Steiner 1909 als Erscheinungsjahr der ersten Auflage, was mir ein Irrtum zu sein scheint, da bereits 1907 im Max Altmann Verlag die erste Auflage erschien; möglicherweise ist das Buch 1909 erstmals in dem Otto Wilhelm Barth-Verlag erschienen). Steiners Frau Marie Steiner-von Sivers hatte das Werk übersetzt - Teile des Buches erschienen zuvor in der Zeitschrift Lucifer & Gnosis (vgl. auch Fedjuschin 1988: 86, 326 Anm. 1). Zu Beginn des 20. Jhd. wurde Steiner auch in Russland immer gefragter. So brachte die Theosophin Elena Petrovna Piserva in einem Brief an Marie von Sivers den Bedarf nach Steiners Vorträgen zum Ausdruck: "»Wir brauchen in Rußland unbedingt Material von der Art, wie es der Doktor zu geben hat. Die verzweifelten Menschen werfen sich auf alles, was nach Geist aussieht. Neuerdings kam ein schlechtes, billiges, spiritistisches Journal heraus, welches schon jetzt mehr als 16 000 Abonnenten hat. Kürzlich erst erfuhr ich, daß die Werke von Papus und anderen französischen Okkultisten eines nach dem anderen auf Russisch im Druck erscheinen. Deshalb darf es nicht sein, daß wir, die wir das Glück haben, einen solchen Lehrer wie den Doktor zu kennen, nicht wissen, wo wir den Stoff für unsere okkulte Arbeit herbekommen müssen.«" (Fedjuschin 1988: 89) Fedjuschin kommentiert später: "In dem Werk Rudolf Steiners sahen die Russen die Möglichkeit eines neuen geistigen und damit auch historischen Weges für Rußland.Sie waren schon lange auf der Suche und fühlten voraus, daß ein Lehrer kommen sollte, der sie zur Quelle des Lichtes, zu Christus, zurückführen würde." (ebd.: 102)

Passend zu diesem Verlangen schrieb Steiner ähnlich schwärmerisch wie Schuré im ersten Vorwort zu Die Großen Eingeweihten:
"Schuré ist von dem Glauben beseelt, daß eine Zukunft der Geisteskultur bevorstehe, in der sich die Wissenschaft durch die Weisheit zur Anerkennung des Sehers der Wahrheit hindurchringen wird, und daß die Kunst eine Epoche erleben werde, in der hinter der Phantasie die befruchtende Kraft der ewigen Urbilder der Dinge walten werde. Auf diesem Vertrauen ruht sein künstlerisches Schaffen und aus ihm ist auch dieses Buch erwachsen." (ebd.: 6)
"Es bietet den geschichtlichen Nachweis, daß das Wesen der Religion von dem Begriff der »Einweihung« oder »Erleuchtung« nicht zu trennen ist. Das Bedürfnis nach Religion ist allgemein-menschlich. Eine Seele, die verneint, ohne Religion leben zu können, ist in einer schweren Selbsttäuschung befangen. Aber Befriedigung können diesem Bedürfnisse nur die Sendboten der geistigen Welt bringen, die im Lande der Seher sich zu den höchsten Stufen erheben." (ebd.: 7)
"Zwei Mittel sind heute vorhanden, um den Zugang zu der Sprache derjenigen zu finden, die aus der Seher-Erfahrung heraus Kunde geben können von einer geistigen Welt. Der eine Weg ist der direkte des Hinhorchens auf die Quellen, die auch in der Gegenwart aus dem Urgrunde des Daseins fließen. Der andere Weg ist der in Schurès Buch gebotene. Für viele wird das letztere Mittel wohl erst auf den vorgenannten Weg führen. Wenn sich solche Menschen erst überzeugen können, daß die großen Geistesimpulse der Vorzeit, die noch in ihren Seelen fortleben, aus Seherkraft entsprungen sind, dann werden sie sich zu der Einsicht hindurchringen können, daß auch in der Gegenwart ein Erreichen dieser Kraft möglich ist.
Wer das Geistesleben der Gegenwart nicht nur an seiner Oberfläche, sondern in seinen Tiefen verfolgen kann, der vermag auch zu sehen, wie sich nach dem Abfluten der materialistischen Strömungen von vielen Seiten die Quellen des spirituellen Lebens öffnen. Gerade wer dies klar durchschaut, wird nicht die zeitliche Notwendigkeit des Materialismus bestreiten. Er wird wissen, daß dieser Materialismus in den letzten Jahrhunderten entstehen mußte, weil nur unter seinem einseitigen Wirken die äußeren Erfolge der Kultur möglich waren. Ein solcher wird aber auch sehen, wie ein neues Zeitalter der Spiritualität heraufzieht.
Eine der besten Erscheinungen dieses beginnenden spirituellen Zeitalters glauben wir mit Schurés »Großen Eingeweihten« der deutschen Öffentlichkeit zu übergeben." (ebd.: 8)

Marie von Sivers und Rudolf Steiner nahmen Schurés Werk dankbar auf, und es wird m. E. am besten durch Steiners Vorstellung einer Akasha-Chronik (Link 2) ergänzt.

Wenn wir annehmen, dass Schurés Buch auch Teil des russischen spirituellen Zeitgeistes war - Les Grands Initiès wurde 1914 in russisch veröffentlicht - und wir wissen, dass Gurdjieff wie auch Personen aus seinem Umfeld Kenntnis von theosophischen Schriften hatten, so wird Gurdjieff in irgendeiner Weise von Teilen der dort geschilderten Inhalte erfahren haben.

Eine Verbindung zwischen Enneagramm und Pythagoras gibt es durch die Tatsache, dass sich Gurdjieff im Beelzebub auf Pythagoras bezog (als eine von zwei initiierten Personen auf der Erde; als Experimentierer mit dem "monochord", den Gurdjieff für seine Experimente als "vibrosho" baute). Da Gurdjieff den Namen Pythagoras nur im Beelzebub und hier nur fünf Mal erwähnt (wobei er ihn an einer Stelle "as stupid as a cork" bezeichnet), kommen Zweifel an dessen Wichtigkeit im Gurdjieffschen Denken auf. Doch ist zu bedenken, dass der Beelzebub erst nach Gurdjieffs Unfall und dem Niedergang des Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen (siehe weiter unten) geschrieben wurde. Das heißt, dass Gurdjieff vielleicht erst im Nachhinein eine geringe Bedeutung von Pythagoras ausdrückte, er aber in seinen Anfangsjahren in Moskau und Petersburg eine größere Bedeutung gehabt hat - schließlich taucht auch das Wort Enneagramm nicht in Gurdjieffs Büchern auf und trotzdem hat es für ihn eine große Bedeutung gehabt. Zur Prüfung dieser Vermutung wären die Aufzeichnungen von Ouspensky aufschlussreich. Doch in Ouspenskys Aufzeichnungen über die Zeit in Moskau und Petersburg fehlt Pythagoras. Allenfalls die Beziehung zur Musik wird in Ouspenskys Enneagramm-Kapitel Nr. 14 und im Kapitel 18 deutlich. Nun ist aber die Tatsache, dass das Wort Enneagramm an keiner Stelle im Beelzebub auftaucht, nicht allzu hoch zu bewerten, weil laut Moore die Kapitel 39 und 40 auf besondere Weise das Enneagramm beschreiben (vgl. Moore [1987]/ 2004: 9 Anm. 10). Gleiches gilt für den nur spärlich erwähnten Pythagoras, weil Gurdjieff über seine Quellen keine Auskunft zu geben pflegte, so dass die wahre Bedeutung des Pythagoras für Gurdjieff schwer einzuschätzen ist. Indirekt lässt sich eine hohe Bedeutung ableiten - mehr dazu in der Langversion zur Wissenschaftlichkeit des Enneagramm. Im übrigen ist es auch bei Platon so, dass der "Einfluß des pythagoreischen Denkens" unbestritten ist, obwohl er Pythagoras und die Pythagoreer "nur zweimal erwähnt (Res. 600a, 530a-531b) - wenn wir von den Hinweisen auf Philolaos und seine Schüler im »Phaidon« und auch Archytas im Siebten Brief einmal absehen. [...] Angesichts der zahlreichen Passagen, in denen pythagoreischer Einfluß spürbar wird (zum Beispiel im »Timaios« oder im »Staat«), wirkt es besonders verwunderlich, daß die Pythagoreer so selten direkt erwähnt werden. Eine befriedigende Erklärung hat sich dafür bis heute nicht gefunden. [...] Mit den Schülern Platons beginnt sich das Material über Pythagoras und die Pythagoreer zu verdichten; und die Hauptsache ist, daß wir darin auch Hinweise auf konkrete wissenschaftliche Entdeckungen finden." (Zhmud 1997: 131, 132) So war es Orage, ein Schüler von Gurdjieff, der ihn einen pythagoreischen Griechen nannte: "»A Pythagorean Greek,« Orage called him, thus connecting the prominence given to numbers in the Gurdjieffian system with Gurdjieff's descent from Ionian Greeks who had migrated to Turkey. Perhaps this appellation, "Pythagorean Greek," is as short a way as any to indicate the strangeness of Gurdjieff to our civilization, which has never been compared to Greece in its great period from the sixth to the fourth centuries before Christ." (Quelle)

Eine in diesem Sinne in Gurdjieff hineindeutbare Verbindung zu Pythagoras stellt zum einen die Wichtigkeit von Musik und zum anderen das Denken in Proportionen dar - bei Gurdjieff kommt noch die tänzerische Bewegung und das Denken in Schwingungen/Vibrationen hinzu (ein Antonios Diogenes hat sogar von angeblich durch Pythagoras therapeutisch eingesetzten Tänzen berichtet, was vermutlich Gurdjieff dazu inspirierte, ebenfalls von "pythagorean dances" zu sprechen [Querverweis und eine Studie aus 2022]).

Einen deutlicheren Pythagoras-Bezug finden wir bei der Person, die rund 50 Jahre nach Gurdjieff das Enneagramm als psycho-spirituelles Persönlichkeitsmodell entwickelte. Diese Person veröffentlichte 1991 das Gerücht von zwölf Siegeln des Pythagoras (nicht zehn Siegel wie bei Salmon) - mehr dazu im letzten Kapitel, der Langversion zur Wissenschaftlichkeit des Enneagramm.

Der mit dem Eingehen auf das Schuré-Buch vollzogene Zeitsprung von Pythagoras zur Zeit des ausgehenden 19. Jh. und beginnenden 20. Jh. wird weiter unten fortgeführt. Für diese Webseite Zur Herkunft des Enneagramm-Symbol macht zunächst ein Zeitsprung von Pythagoras ins 13. Jh. Sinn. Würden wir Andreas Ebert folgen, müssten wir noch einen Zwischenstopp bei Evagrius Ponticus einlegen, doch sind von ihm keine Zeichnungen überliefert. Es gibt lediglich Aussagen in seiner Einleitung zu den 153 Kapitel über das Gebet, die uns über mögliche Figuren spekulieren lassen. Ebert hat einen solchen Spekulationsversuch unternommen (vgl. Rohr/ Ebert [1999]/ 2009: 27-30)




Im Jahr 1283 verfasste der Franziskaner Raymundus Lullus/ Ramón Llull (1232-1316) die Ars demonstrativa, die unter anderem die in diesem Zusammenhang bedeutsamen Figuren A und T enthält:

 

 

 

(Quelle)


Es folgten in der Ars brevis (1308) zwei Figuren,
die ebenfalls auf der deutschen Seite des
Centre de Documentació Ramon Llull dargestellt sind:

 

 

 


(Quelle)


Die Ars brevis war 1308 geschrieben worden, um den Zugang zur "großen Kunst" - also der Ars generalis ultima (1305-1308), auch Ars magna genannt - zu erleichtern. Seltsam ist, dass in der Figur A einige Verbindungslinien fehlen. Die Grafiken auf der spanischen Version der entsprechenden Webseite sehen anders aus und werfen die Frage auf, was die Grundlage für diese beiden Grafiken der deutschen Version ist. Auch habe ich auf der Webseite des Centre de Documentació Ramon Llull nicht die Figuren A und T des eigentlichen Werkes Ars generalis ultima finden können - sie sind auf dieser Webseite:

 

 

 

 

 


Rund 280 Jahre später finden wir die Figur A
bei Giordano Bruno (1548-1600)
in einer reduzierten Version wieder (rechtes Bild):

 

 


(Quelle)


Bei James Webb finden wir 1980 eine interessante Ableitung
der Figur A (rechtes Bild, Webb 1980: 519):



 

Auf den ersten Blick sehen die Figuren gleich aus (wenn wir darüber hinweg sehen, dass in der rechten Figur das Dreieck und das unregelmäßige Sechseck ergebenden Linien fett gedruckt sind). Beim zweiten Blick ist zu entdecken, dass Webb das Muster der inneren Verbindungslinien um 20 Grad gedreht hat - im Original sind die Buchstaben über den Zwischenräumen, bei Webb sind sie nun über den Knotenpunkten. Dieses Darstellungsprinzip findet sich durchgehend bei der Figur T und für die Figur A in der Ars demonstrativa und der Ars brevis. Was mag es wohl zu bedeuten haben, dass Llull in der Ars generalis ultima bzw. der Ars magna für die Figur A von seinem Darstellungsprinzip abgewichen ist ? Diese Frage scheint mir für den auf dieser Webseite dargestellten Zusammenhang nicht wesentlich, so dass ich ihr nicht weiter folge.



Seit 1665 gibt es den Neunstern, die "Enneade", in der Arithmologia sive de abditis numerorum mysteriis (Arithmologie oder das verborgene Geheimnis der Zahlen) des Jesuiten Athanasius Kircher (1602-80, Erläuterndes siehe hier). Kircher hat den Neunstern von Llull übernommen.



In Kirchers Bild sitzen auf der Erde zwei Menschen (unten links und unten rechts), die nach oben kucken. Quasi als deren Verlängerung oder himmlische Übermittler sind zwei Engel zu erkennen, die zum Neunstern weisen, der in der Mitte das Auge Gottes enthält. "The Monad, which is also the Holy Trinity, is represented by the eye in the triangle at the center of the ennegram." (Webb 1980: 508; was hier in der englischen Sprache "enneagram" heißt, ist bei Kircher die "Enneade", siehe den Hinweis zur Sprache bei Bartels 2005: 68 Anm. 128)
Unter Einbeziehung des Kreises mit den zwei Flügeln heißt es bei Godwin: "»Die Gottheit, dargestellt als Auge in einem Dreieck, das dreimal durch die hebräischen Buchstaben JH markiert ist, sendet ihre Strahlen auf dem Weg über die neun Engelsscharen in ihren drei dreieckigen Abteilungen in die Welt. Die Engel bewohnen die himmlische oder archetypische Welt. Darunter sind die Sphären der sieben Planeten, umgeben von den Fixsternen des Tierkreises und dem primum mobile. Die Erde befindet sich in ihrem Zentrum.« Kircher hat sich offenbar durch seine Studien der alten Religion Ägyptens zu der Vorstellung des Gottesstrahls inspirieren lassen. Jedenfalls galt ihm die Lehre der Weltseele, die den Kosmos mit einem Strahl aus Liebe erfüllt, als »Zusammenfassung der 'ägyptischen' Philosophie«. Der Jesuit war erfüllt von der Hoffnung, in einer geheimen ägyptischen Ur-Lehre die Quelle der großen esoterischen Traditionen der Welt zu finden - eine Leidenschaft, die ihn übrigens mit Gurfjieff verbindet. Dieser vertrat nämlich die Auffassung, dass in Ägypten schon vor vielen tausend Jahren eine esoterische Vorform der christlichen Religion existiert habe, die über »Schulen der Wiederholung« tradiert worden und mit der Zeitenwende letztlich in das Christentum übergegangen sei." (Bartels 2005: 67f mit Bezug auf Godwin, J. (1994): Athanasius Kircher. Ein Mann der Renaissance und die Suche nach verlorenem Wissen, Berlin, S. 82, 20, 15 und Ouspensky 91997: 444f als deutsche Übersetzung von Ouspenskys In Search of the Miraculous)

Eine wichtige Quelle für den von Enneagrammern behaupteten alten Ursprung könnte der Oedipus Aegyptiacus von Kircher sein: "The three full folio tomes of ornate illustrations and diagrams were published in Rome over the period 1652–54. Kircher claimed that his sources for Oedipus Aegyptiacus were Chaldean astrology, Hebrew kabbalah, Greek myth, Pythagorean mathematics, Arabian alchemy and Latin philology." Das Werk in lateinischer Sprache finden Sie hier - eine Webseite mit pdf-Dateien vom Mikrofilm des Originalwerkes.

"The arithmological view of number sees meaning and not use in number." (Webb 1980: 503) Sehr schnell sichtbar sind die Zahlen unten auf dem Bild. Fast verborgen sind die Ziffern, die sich an jeder Spitze des Neunecks befinden. Schauen wir auf die Anordnung der Ziffern, so wirkt das rätselhaft. Entfernen wir das Dreieck in der Mitte des Neunsterns, so sind wir bei der folgenden Abbildung:

Eine mögliche Erklärung dafür, wieso die Zahlen bei Kircher so angeordnet sind und was das vermutlich mit der Kabbalah und Llull zu tun hat, ist sehr spannend bei Webb (1980: 509-525) nachzulesen. Vorweg gesagt sei, dass die geometrische Figur der Enneade nicht in der Kabbalah zu finden ist. Die Ursache für die Verbindung des Lebensbaumes mit der Enneade liegt bei Franz Bardon (1909-1958). Er fügte in den von Robert Fludd (1574-1637, Link 2) gezeichneten Lebensbaum verschiedene geometrische Symbole ein - bei Bardon heißt die "Enneade" von Kircher allerdings "Nonagon".

Für Webb ist klar - auch wenn er korrekt einschränkt "We cannot say for certain that Gurdjieff did take his cosmology from Athanasius Kricher." - dass Gurdjieff durch Kircher inspiriert wurde (Webb 1980: 512, 518).

Das folgende obere Symbol ist das heute übliche Enneagramm-Symbol, doch ist es nicht bei Gurdjieff zu finden ! Gurdjieffs Symbole sind die beiden darunter und sie sind zu finden bei Ouspensky (1949: 286 [ohne Ziffern], 288 [mit Ziffern]):

 

 

 

Das richtige Symbol wurde noch im Jahr 2000 auf dem Cover der deutschen Übersetzung eines Riso/Hudson-Buches verwendet - allerdings nur in der/den ersten Auflage/n. Die ebenfalls im Jahr 2000 gedruckte sechste Auflage sieht anders aus:

 

 

Der linke Buchtitel hat ein großes rotes Enneagramm-Symbol mit Pfeilen. Doch das Symbol befindet sich ohne Pfeile und Nummern in dem schwarzen mittleren Bild. Seinen Ursprung hat es auf dem Plakat des Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen (siehe weiter unten).

Auf Seite 377 sind bei Ouspensky (1949) zwei ergänzte Formen zu finden, die am Außenrand noch Zahlen des "Diagram of Everything Living" und Oktaven-Buchstaben beinhalten, was er dann als "food diagram" bezeichnet. Webb verweist darauf, dass für Gurdjieffs Enneagramm die Bewegung wesentlich ist "and the direction of the movement is marked by Ouspensky with arrows." (Webb 1980: 517) Ich habe bei Ouspensky (1949) keine Enneagramm-Figur oder eine Hexade mit Pfeilen gesehen. Es sei noch auf eine Anmerkung von Bartels verwiesen: "Webb spricht von Kirchers Enneade als einer »figure called an 'enneagram'«. (Circle 507) Bei Kircher selbst fehlt das Wort »enneagram« jedoch. Möglicherweise ist seine »enneade« in der (englischsprachigen?) Sekundärliteratur irgendwo zum »enneagram« geworden. Leider nennt Webb keinen Beleg." (Bartels 2005: 68 Anm. 128)

Bei der ganzen Diskussion um die Herkunft des Enneagramm-Symboles ist die Feinheit mit dem gestrichelten Dreieck wichtig, weil es deutlich macht, dass das Symbol für Gurdjieff aus drei Teilen besteht: einem Dreieck, einem unregelmäßigen Sechseck und einem Kreis. Die Form des Kreises und des Dreiecks sind uralt. Das, was neu ist, ist das unregelmäßige Sechseck. Entsprechend finden wir bei Ouspensky Begründungen und Beschreibungen für den Kreis und das Dreieck. Das unregelmäßige Sechseck wird seltsamer Weise nicht dargestellt. Stattdessen werden zwei Figuren gezeigt (Ouspensky 1949: 287),

 

 

die meine Phantasie in keiner Weise
mit dem unregelmäßigen Sechseck des Enneagramm-Symbol

 

 

in Verbindung bringen kann.


In dem 1979 von Peter Brook veröffentlichten Film Meetings With Remarkable Men wird deutlich, dass es um dieses unregelmäßige Sechseck geht, wenn wir uns Fragen, was Gurdjieff angeblich bei einer sufischen Bruderschaft in einem Kloster gefunden hat:

 

 

Ein helles Sechseck mit einem dunklen
Kreis als Hintergrund auf einem Papyrus ab 2:40.

 

 

Das Sechseck in hellen Linien auf einem dunklen Boden im Kloster der Bruderschaft,
wobei die Tänzerinnen auf dem Symbol weiblich sind, von 3:20 bis 4:12.

Der Film ist gerade deshalb eine seriöse Quelle, weil Jeanne de Salzmann für den Inhalt mitverantwortlich ist. Sie war es, die Gurdjieff half, seine Ideen für die Movements (Heilige Tänze) Wirklichkeit werden zu lassen und die ihn seit Tiflis bis zum Tode begleitete. Und bei Ouspensky heißt es: "»Each completed whole, each cosmos, each organism, each plant, is an enneagram,« he said, »But not each of these enneagrams has an inner triangle. The inner triangle stands for the presence of higher elements, according to the scale of 'hydrogens,' in a given organism. This inner triangle is possessed by such plants, for example, as hemp, poppy, hops, tea, coffee, tobacco, and many other plants which play a definite role in the life of man. The study of these plants can reveal much for us in regard to the enneagram.«" (Ouspensky 1949: 293, eigene Hervorhebung)
Das Symbol kann also ohne Dreieck dargestellt werden.

Zu Llull und Kircher schrieb Johannes Bartels im November 2001 den Beitrag Die Suche nach dem »Ur-Enneagramm«. Bartels zitiert darin James Webb, der die Personen Anna Butkovsky und Anthony Charkovsky als Mitglieder der Petersburger Gurdjieff-Gruppe und Llull-Wiederentdecker erwähnt. In einer kritischen Anmerkung weist Bartels darauf hin, dass Webb nicht sagt, woher er die Information hat. Und schließlich sei allenfalls eine Parallele im Denken Llulls und Kirchers mit dem von Gurdjieff zu finden, was laut Bartels aber nicht dazu berechtigt, in deren Figuren "eine ursprüngliche Fassung der neunfältigen Charaktertypologie" zu sehen.

So sehr ich die wissenschaftliche Strenge von Bartels schätze, so sehr schätze ich auch die interessanten Hinweise und Argumente von Webb, die glaubhaft darlegen, dass Gurdjieff vermutlich von Llull und Kircher wusste (eine Wertschätzung für Webbs Argumente lese ich auch in Bartels oben erwähnten Vorab-Dissertations-Auszug Die Suche nach dem »Ur-Enneagramm«; in seiner Dissertation siehe die Kapitel zu Llull und Kircher, S. 60-71). Ich will hier keine Zusammenfassung von Webb geben, sondern empfehle den interessierten Lesern, das Kapitel "The sources of the system" in dem bereits 1980 von Webb veröffentlichten 600-Seiten-Werk The harmonious circle zur Lektüre (S. 499-542). Für mich ist dieses Webb-Kapitel der Scheideweg zwischen der historischen Herleitung des Gurdjieffschen Enneagramms und der Nutzung des Gurdjieffschen Symboles durch Ichazo und die nachfolgenden psychologischen Enneagrammer.
Genau hier schneidet das wissenschaftliche Schwert von Bartels !

Bartels Kritik hinsichtlich der fehlenden Informationen zum Einfluss von Anna Butkovsky und Anthony Charkovsky sei entgegnet, dass "Llulls Ars magna in der Barockzeit über polnische und ukrainische Vermittlung" nach Russland gelangte. "Die Rezeption begann ab 1690 mit den Übersetzungen und den lullistischen Originalwerken von Belobockij und hielt das gesamte 18. Jahrhundert an. [...] Dass die lullistischen Schriften in Rußland hauptsächlich ungedruckt in Manuskriptform tradiert wurden, spricht für einen randständigen und gegenoffiziellen Status. In den entsprechenden Milieus wurden sie aber viel gelesen und oft über Generationen innerhalb einer Familie vererbt. Marginalien von Benutzern und Kopisten in den erhaltenen Handschriften zeugen davon, daß die Texte sogar in den niedrigen und schlechter gebildeten Schichten Leser fanden (...). [...] Insgesamt drei Übersetzungen lullistischer Werke sind bei Sobolevskij genannt (1899, 71f, 101f). [...] Eine eminent wichtige Überlieferungsinstanz waren die Freimaurerlogen (mit mehr als 120 verschiedenen Abschriften von Belobockijs russischer Ars Magna; Gorfunkel 1995, 25). [...] Wissenschaftliche Literatur in russischer Sprache über Autoren und Werke der lullistischen Tradition kommt gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf. Die ars combinatoria erscheint hier als Teil einer Literaturgeschichtsschreibung, die ihre fremdkulturellen Stimuli dokumentiert. [...] In Symbolistenkreisen dürfte Lullus und die lullistische Kunst ziemlich bekannt und geschätzt gewesen sein." (aus dem Kapitel "Exkurs: Kombinatorik in Rußland. Spuren der Tradierung der Ars Combinatoria und des lullistischen Denken" in: Greber (2002): 544f, 547, 549)

Diese Befunde deuten für mich darauf hin, dass das von Gurdjieff (Georgi Iwanowitsch Gjurdschijew, 1866-1949) in die Welt gebrachte Enneagramm-Symbol eine interessante Abwandlung ist.

Gurdjieffs Geburtsdatum ist umstritten. Bennett nannte 1877 und der Gurdjieff-Biograph James Moore nennt 1866 (Bennett [1973]/ 1976: 17f und Moore 1991: 339) Moore verweist darauf, dass Bennett sich an einem Reisepass von Gurdjieff orientierte, aber übersehen hatte, dass Gurdjieff mehrere Reisepässe hatte, von dem einer sogar das Geburtsdatum 1. Januar 1864 trug. Moore argumentiert für 1866. Bennett hatte "es als schwierig empfunden, die Chronologie seines Lebens mit dem Datum von 1877 in Einklang zu bringen, aber seine Familie behauptet, daß es richtig sei." (Bennett [1973]/ 1976: 18)

 


Sehen Sie hier eine Zeichnung, die Alexander von Salzmann (1874-1934) - ein in Tiflis geborener russischer Maler, Karikaturist und Bühnenbildner - vermutlich für das im September 1919 in Tiflis eröffnete Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen angefertigt hatte:

 



(Quelle) Noch wichtiger als Alexander war für Gurdjieff dessen Ehefrau Jeanne de Salzmann (1889-1990). Jeanne hatte 1912 am Festspielhaus in Hellerau ihren Mann kennen gelernt, im gleichen Jahr geheiratet, war 1917 mit ihm nach Tiflis gezogen und hatte dort eine Tanz- und Musikschule eröffnet. Im Frühjahr 1919 trifft das Paar dann - durch Vermittlung des Komponisten Thomas von Hartmann - auf Gurdjieff. Bereits im Juni 1919 haben Jeanne und Gurdjieff eine erste öffentliche Aufführung der Movements (Heilige Tänze) im Tiflisser Opernhaus. Sie war von nun an seine Schülerin, begleitete ihn bis zum Tod, machte sein Gedankengut in Frankreich bekannt und führte Gurdjieff nach Schließung seines Instituts in Paris neue Gruppen zu. Nach Gurdjieffs Tod gründete sie mit anderen Schülern eine Gurdjieff-Stiftung, die sie bis zu ihrem Tod leitete.

Für das am 1. Oktober 1922 in Fontainebleau bei Paris eröffnete Institut und den im Jahr 1923 erschienenen Prospekt des Instituts veränderte Alexander von Salzmann die ursprüngliche Zeichnung etwas. In den Wirren der russischen Revolution musste Gurdjieff mit seinen Schülern 1920 Tiflis verlassen. Die Gruppe machte im gleichen Jahr Station in Konstantinopel sowie 1921 in Hellerau (bei Dresden) und Berlin; schließlich waren sie 1922 kurz in London und Südengland.

 

 

(Quelle) Der Gurdjieff-Schüler Ouspensky scheint seit 1920 Kenntnis von diesem Bild gehabt zu haben: "There was yet another drawing of the enneagram which was made under his direction in Constantinople in the year 1920. In this drawing inside the enneagram were shown the four beasts of the Apocalypse - the bull, the lion, the man and the eagle - and with them a dove. These additional symbols were connected with the »centers.«" (Ouspensky 1949: 295)

Die Zeichnung enthält das bereits gezeigte Enneagramm-Symbol:

 


Bei dem daraus abgeleiteten heute üblichen Enneagramm-Symbol sind die gestrichelten Linien des Dreiecks geschlossen. Bei Roob heißt es zu dem Zeichen:

"Gurdjieff unterschied vier Zentren im Menschen: das Bewegungs-, Denk- und Gefühlszentrum und den formgebenden Apparat. Diese Vier seien als hierarchisches Gespann aus Fahrgast, Wagen, Lenker und Pferd richtig zu organisieren. Auf dem Programmentwurf für sein Institut, das er 1922 in Fontainebleau bei Paris gründete, sind sie als die vier Tierwesen im Enneagramm dargestellt." (Roob 1996: 655; vgl. auch Ouspensky 1949: 40-51, 387f)

"Wesen und Persönlichkeit sind sogar in verschiedenen Teilen des Gehirns. Beinahe alles, was zur Persönlichkeit gehört, ist in dem Formungsapparat. Das Wesen kann all dieses Material nicht benützen, deshalb besitzt es keinen kritischen Verstand. [...] Bei den meisten Menschen empfängt das Wesen nur bis zum Alter von fünf oder sechs Jahren Eindrücke." (Bennett [1973]/ 1976: 142)

Zum Enneagramm-Symbol sagte Gurdjieff laut Ouspensky unter anderem: "Das Verständnis dieses Symbols und die Fähigkeit, es zu benützen, gibt dem Menschen eine sehr große Macht. Es ist das perpetuum mobile und ist auch der Stein der Weisen der Alchemisten." (zitiert in: Roob 1996: 656)
Original: "It is perpetual motion and it is also the philosopher's stone of the alchemists." (Ouspensky 1949: 294)



Die den Kreis bildende sich in den Schwanz beißende Schlange (Ouroboros) ist ein typisches Zeichen der Alchemisten (siehe dazu Roob 1996: 400-430). Wir dürfen davon ausgehen, dass der belesene Gurdjieff eine der vielen Ouroboros-Malereien/-Zeichnungen in mindestens einem Buch gesehen hat. Passend wäre z. B. die Zeichnung von Jacob Böhme (1575-1624):



(Quelle; Jacob Böhme (1682): Theosophische Wercke, Amsterdam; vgl. Roob 1996: 427) Bei Roob heißt es zu dem Zeichen:

"Der Teufel stellt der armen Seele, die sich von Gott abwenden will, sein eigenes Abbild als den Kreislauf der Natur vor, und zwar »in einer Schlangengestalt: das Feuer-Rad der Essenz«. Er spricht: »Du bist auch ein solcher feurischer Mercurius, so du deine Begierde in diese Kunst einführest. Aber du mußt von einer Frucht essen, darinnen die vier Elemente ein jedes in sich selber über das andere regieren, darinnen sie im Streit sind.« Nachdem sie davon gegessen »zündet der Vulcanus das Feuer-Rad der Essenz an und es erwachten alle Eigenschaften der Natur in der Seele, und führten sich in eigene Lust und Begierde ein«. (J. Böhme, Gespräch einer erleuchteten und unerleuchteten Seele)" (Roob 1996: 426; eine Schrift, die Böhme in seinem letzten Lebensjahr 1624 beendet hatte)

"Seit Vulcanus das merkuriale Angstrad, in das sich die Seele hineinimaginiert hatte, angezündet hat »steht ihr Sinn nur noch nach der Vielheit natürlicher Dinge«. Sie ist ganz dem wechselvollen Spiel der Leidenschaften unterworfen. Die erleuchtete Seele rät der armen Seele, die monströse Schlangen-Larve in sich zu zersprengen, indem sie sich in den Liebesgeist Christ einführt, der durch seine Fleischwerdung die Höllenpforten zersprengt und so den Weg zum Paradies wieder eröffnet hat." (Roob 1996: 427)

Bei Schuré heißt es: "Eine Persönlichkeit, die eine große Rolle in der Geschichte Adams und Evas spielt, ist die Schlange. Die Genesis nannte sie Nahash. Was bedeutete nun die Schlange für die alten Tempel ? Die Mysterien Indiens, Ägyptens und Griechenlands antworten einstimmig: Die im Kreis geringelte Schlange bedeutet das universelle Leben, dessen magisch wirkende Kraft das astrale Licht ist. In einem noch tieferen Sinn bedeutet Nahash die Kraft, die dieses Leben in Bewegung setzt, die Anziehung des Selbst zum Selbst, in welcher Geoffroy Saint-Hilaire den Grund der allgemeinen Schwerkraft sah. Die Griechen nannten sie Eros, die Liebe oder die Begierde. - Wenden Sie jetzt diesen doppelten Sinn bei der Geschichte Adams, Evas und der Schlange an, und Sie werden sehen, daß der Fall des ersten Paares, die berühmte Erbsünde, unmittelbar zur Entfaltung der göttlichen universellen Natur wird mit ihren Reichen, ihren Arten, ihren Gattungen in den ungeheuren und unabwendbaren Kreis des Lebens." (Schuré [1889]/ 121956: 163)

Wahrscheinlich ist, dass Gurdjieff und/oder Alexander von Salzmann das persönliche Siegel von Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891) und/oder das Siegel der von ihr 1875 in New York mitgegründeten Theosophischen Gesellschaft kannten:

 

 

Das Hakenkreuz - die Swastika - ist beim persönlichen Siegel von Frau Blavatsky rechts herum und beim Siegel der Theosophischen Gesellschaft links herum. Am Rande sei bemerkt, dass amerikanische Historiker eine Ausgabe von Blavatskys Geheimlehre in Adolf Hitlers persönlicher Bibliothek gefunden haben - "mit zahlreichen handschriftlichen Randbemerkungen Hitlers versehen und damit Zeichen einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk" (siehe "Kommentare", dritter Punkt, der sich auf die Quelle Constance Cumbey (1987): Die sanfte Verführung, Asslar: Schulte und Gerth, S. 140 bezieht; es gibt auch eine interessante Fernseh-Dokumentation über den okkulten Hintergrund in der Nazi-Führung; eine Studie). Timothy W. Ryback hat rund 1.200 der insgesamt "mehr als 16 000 Bände" umfassenden Büchersammlung Hitlers "auf Marginalien, Anstreichungen, Widmungen und andere Spuren ihres Vorbesitzers hin untersucht" und die Ergebnisse 2008 veröffentlicht (Frenschkowski in: Webb [1974]/ 2009: 32f). An dieser Stelle sei auf ein Postskriptum und einen Bericht des Journalisten Rom Landau aus dessen Buch God Is My Adventure (1935) verwiesen, was beides in Gurdjew der Magier von Louis Pauwels (1956: 29-48) zu finden ist. Es geht dabei zum einen um eine angebliche Verbindung von Gurdjieff zu Karl Haushofer und eine angebliche Verbindung zum 13. Dalai Lama.

"Gurdjew hat sich immer geweigert, die Namen jener Leute zu nennen, die mit ihm zusammen die Gruppe der »Wahrheitssucher« bildeten und die heiligen Gipfel der urtümlichen Traditionen erforschten. Vertrauenswürdige Zeugen haben mir versichert, daß zumindest eines dieser Mitglieder bekannt ist, es handelt sich um Karl Haushofer." (Pauwels 1956: 45; hier zur Person Haushofer) Pauwels hat sich für sein dreiseitiges Postskriptum (S. 45-48) auf Jacques Bergier bezogen, der "im wissenschaftlichen Bereich wohlbekannt" ist und behauptete, es gab "Beziehungen zwischen Gurdjew und der Thulegesellschaft". (ebd.: 48) In dem Wikipedia-Artikel zur Thule-Gesellschaft gibt es im Kapitel "Mythen und Spekulationen" einen sehr kritischen Hinweis ["keinerlei Belege"] gegenüber den Autoren Pauwels/Bergier; dafür wird sich auf die Dissertation (1985) The Occult Roots of Nazism. The Ariosophists of Austria and Germany, 1890-1935 von Nicholas Goodrick-Clarke bezogen. Herr Bergier hat 1954 für seine Behauptung "einige von seinen Quellen zitiert und sich auf vertrauliche Mitteilungen bezogen, wie er sie im Lager Mauthausen aus dem Munde von deutschen Offizieren hörte, die in das Attentat gegen Hitler verwickelt waren und später hingerichtet wurden; die Offiziere hatten in diesem Zusammenhang Gurdjews Namen genannt. Auf der anderen Seite hat Herr Bergier keine schlüssigen und ausreichenden Dokumente vorlegen können, die einen Geschichtsschreiber befriedigt und jede Diskussion ausgeschlossen hätten." (ebd.: 48) Abschließend der Text Die Verbindung der Nazis zu Shambala und Tibet von Alexander Berzin.

Im Landau-Bericht behauptet ein Schriftsteller Achmed Abdullah, Gurdjieff sei "in Lhasa als Agent des russischen Geheimdienstes" tätig gewesen (ebd.: 31). Landau weiter: "»Ich war damals auch in Lhasa, und in einem gewissen Sinne haben wir gegeneinander gearbeitet.« Gurdjew ist also im Zentrum aller Geheimlehren gewesen. Pauwels sagt einige Seiten vorher, die Angaben von Landau "von vorneherein bestätigen zu können. Gurdjew war etwa zehn Jahre lang Hauptagent des russischen Nachrichtendienstes in Tibet (auch Kipling hat das übrigens gewußt). Die tibetanische Regierung hatte ihm verschiedene Aufträge im Rahmen der Finanzaufsicht und der Bewaffnung der Armee erteilt. Aber diese politische Rolle konnte er nur deshalb spielen, weil man sich in diesem Land, vor allem unter der hohen Geistlichkeit, keinesfalls nur mit bloßen Worten zufrieden gibt und man ihn also als eine geistige Potenz betrachtete. Er war Erzieher des Dalai-Lama und floh mit ihm, als die Engländer in Tibet einmarschierten." (ebd.: 23f) Es gibt Leute, die behaupten, daß er in Lhasa nur dehalb als Geheimagent aufgetreten ist, um die wahre Absicht seines Aufenthaltes zu verschleiern - er wollte im Grunde die übernatürlichen Methoden der Lamas studieren. Andere behaupten wieder, diese Geheimstudien seien ein Vorwand gewesen, um dahinter politische Absichten zu verbergen. Aber was ist nun wahr ?" (ebd.: 31f) Landau bekam bei Drucklegung seines Buches einen Brief von Achmed Abdullah, der gestehen muss: "Im Falle Gurdjew steht mir kein anderes Beweismittel für die Richtigkeit meiner Auffassung zur Verfügung, als daß ich ihrer gewiß bin." (ebd.: 44) In diesem Brief taucht folgender wichtiger Hinweis auf: "Den Russen war er unter dem namen Hambro Akvan Dorzhiew bekannt. Beim britischen Geheimdienst hieß er der Lama Dorzhiew." (ebd.) Pauwels gibt dazu in einer abschließenden Anmerkung zwei widersprechende Hinweise, die die Richtigkeit des Dargestellten offen lassen. Meine Deutung des Ganzen ist, dass Gurdjieff nicht identisch ist "mit einem burjätischen Lama namens Dordjiew". (ebd.: 48) Abdullah verweist in seinem Brief darauf, dass Gurdjieff als Dorzhiew mehrere Sprachen sprach - darunter "französisch (mit starkem Akzent) und ein ziemlich phantastisches Englisch." (ebd.: 44) Wir wissen, dass Gurdjieff in England und Frankreich Übersetzer brauchte - Abdullah kann also nicht Gurdjieff meinen. Alexandra David-Neel wies bereits 1954 darauf hin (vgl. ebd.: 48), dass jener Dorzhiew nicht Gudjieff sei, sondern der burjätische Lama Agvan Lobsan Dorzhiev (1854-1938) bzw. Agvan Dorjiev oder Dorjieff - hier ein Artikel der Geschichtsprofessorin Helen Hundley, weitere Ausführungen im Kapitel "Der Traum vom buddhistischen Großreich" - die wohl ausführlichste Quelle zu dieser Person dürfte das Buch von John Snelling sein. Bei den Trimondis findet sich im Zusammenhang mit Dorjiev und Vladimir Solovjov (vermutlich Vladimir Soloviev) der Hinweis "Since the end of the 19th century Buddhism had become a real fashion among the Russian high society, ...". Da ich das Autorenehepaar Herbert und Mariana Röttgen bzw. Victor und Victoria Trimondi zitiere, möchte ich auch auf eine Kritik an deren Kritik hinweisen, die der Indologe und Religionswissenschaftler Karl-Heinz Golzio verfasste - hier noch eine Stellungnahme von Thomas Lautwein, Einzelmitglied der Deutschen Buddhistischen Union. Und abschließend zwei Texte von Alexander Berzin - in dem ersten ist viel von Dorjiev die Rede, in dem zweiten nur an einer wichtigen Stelle.

An diesen beiden Beispielen - Gurdjieffs angebliche Verbindungen zu Karl Haushofer und zum Dalai Lama - wird deutlich, wie sehr man aufpassen muss, nicht irgendwelchen Gerüchten aufzusitzen und sie weiter zu verbreiten.

Als positives Gegenbeispiel gegenüber der Verbindung, die sich von Blavatsky zu Hitler ziehen lässt, sei bemerkt, dass die Anthroposophische Gesellschaft 1913 aus der Theosophischen Gesellschaft hervorging. Gurdjieff aber sah in der Anthroposophie "eine Verirrung der gleichen Art wie die Theosophie und der Spiritismus" (Moore 1991: 66). Doch setzten sich "so gut wie alle bedeutenden Vertreter der russischen Kultur des 1. Viertels unseres Jahrhunderts in irgend einer Weise mit der Anthroposophie auseinander, ließen sich durch sie beunruhigen oder begeistern, fanden in ihr Anregungen für ihre eigene Lebensaufgabe oder lehnten sie heftig ab." (Barbara Fedjuschina im Vorwort von Fedjuschin 1988)

Im Jahr 1907 hielt A. R. Orage, der Herausgeber des The New Age, "a series of lectures to the Manchester and Leeds branch of the Theosophical Society on the topic of »Consciousness: Animal, Human and Superman.«" (Lachman 2008: 140; grundsätzlich interessant ist hier das gesamte Kapitel 7 "Journeys to the East" und das Kapitel "Die Weisen aus dem Osten" bei Webb [1976]/ 2008: 183-256). Die Vorträge inspirierten Ouspensky (Link 2), sich mit theosophischer Literatur zu beschäftigen: "1907 entdeckte ich die theosophische Literatur, die in Rußland verboten war: Blavatsky, Olcott, A. Besant, Sinnett ... Sie rief in mir einen sehr starken Eindruck hervor obwohl ich sofort ihre schwache Seite sah. Diese schwache Seite bestand darin, daß sie, so wie sie war, keine Fortsetzung haben konnte. Jedoch öffnete sie mir Tore in eine neue und größere Welt. Ich entdeckte die Idee der Esoterik und die Möglichkeit, an das Studium der Religion und der Mystik von einem gewissen Blickwinkel aus heranzugehen und erhielt so neue Impulse zum Studium »der höheren Dimensionen«." (Ouspensky 1935 zitiert von Grunwald in: Ouspensky [1912]/ [21922]/ 21980: 305)

Ouspensky wurde in Petersburg Mitglied der Theosophischen Gesellschaft (ein deutscher und russischer Zirkel der TG hatten sich 1902 und 1904 in Petersburg gegründet und dann vereinigt; legal gegründet wurde die "Russische Theosophische Gesellschaft" am 17. November 1908 in Petersburg; vgl. Fedjuschin 1988: 68f, 72). Ouspensky erhielt sogar eine Einladung, dem inneren Zirkel beizuwohnen, der er aber nicht folgte (vgl. auch Grunwald [1972/3: 305f] als Herausgeber von Ouspenskys Tertium Organum). Hier ein Kurzartikel zur TG in Moskau und Petersburg: Der russische Freidenker Nikolaj Aleksandrovitsch Berdjaev (1874-1948) hielt Ouspensky für "den einzigen originellen theosophischen Schriftsteller nach E. P. Blavatskaja" (Fedjuschin 1988: 169)

Im Tertium Organum finden wir auch eine Bestätigung für Ouspenskys Kenntnis von Jakob Böhme: "... die Gleichartigkeit mit der Erfahrung gewisser Mystiker ist sehr bemerkenswert in ihnen, besonders mit jenen von Jakob Boehme." (Ouspensky [1912]/ [21922]/ 21980: 120; siehe auch Ouspenskys Ausführungen zu Böhmes Erleuchtungserlebnissen: 249ff; siehe auch Webb 1980: 109-114) Laut eines Blogbeitrages, der sich auf den Vortrag Gurdjieff and Blavatsky von Johanna Petsche vom 01.10.2010 an der Universität von Sydney bezieht, hatten neben Orage auch J. G. Bennett sowie Thomas und Olga de Hartmann einen theosophischen Hintergrund (Frau Petsche promovierte über Gurdjieffs wenig bekannte Klavier-Kompositionen und seine esoterischen Theorien über Musik, Schwingungen und das Gesetz der Sieben); in den Begegnungen verweist Gurdjieff auf das Buch Die Welt der Schwingungen, dessen Autor nicht Musiker sondern Mathematiker und Ingenieur war und "das meinen Gedanken über die Musik eine bestimmte Richtung gab" (G2: 150). Thomas de Hartmann war Mitglied eines 1911 gegründeten Moskauer anthroposophischen Anfängerzirkels. "Ihm gehörten ungefähr 30-35 Leute an. Die Mitglieder dieses Zirkels waren in der Hauptsache junge Musiker, ..." (Fedjuschin 1988: 101) Nach ersten Zirkeln im Jahre 1911 wurde die russ. Anthroposophische Gesellschaft in Abgrenzung von der TG im September 1913 gegründet. Zu den anthroposophen Zirkeln gehörte auch der Naturwissenschaftler Aleksej S. Petrovskij, der "ein bedeutender Mitarbeiter des Redaktionsrates des [symbolistischen] Verlages »Musaget«" (Fedjuschin 1988: 100) war und der das Werk Aurora von Jakob Böhme ins Russische übersetzte. Im September 1913 wurde auch das Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft im schweizerischen Dornach gegründet, wo erstmals ein Goetheanum gebaut, verbrannt und zu dem heute weltbekannten Goetheanum wieder erbaut wurde; "Am Bau des Ersten Goetheanum nahmen Menschen aus 17 verschiedenen Völkern teil, unter denen die Russen mit ihrem Beitrag für die gemeinsame Arbeit einen bedeutenden Platz einnahmen: ..." (Fedjuschin 1988: 130).

Orage und Bennett lernten Gurdjieff zwar erst nach der Institutseröffnung kennen, doch Thomas und Olga de Hartmann trafen ebenso wie Ouspensky bereits 1915 in Petersburg auf Gurdjieff - und die de Hartmanns hatten in Tiflis den Kontakt zu den von Salzmanns. Für die Zeit bevor Olga und Thomas auf Gurdjieff trafen, sagte Olga: "At that time everyone was reading Blavatsky." (zu Blavatsky siehe auch "E. P. Blavatskaja" bei Fedjuschin [1988: 47-64], ein Unterkapitel des Kapitels "Theosophie in Rußland") Bei Lachman finden wir: "... Theosophy quickly mushroomed into a worldwide occult phenomenon, gathering under its wing an assortment of influential and important disciples that would be the envy of any movement, political or otherwise." Und speziell für die USA: "Few things are as American as baseball, and for a time at the turn of the nineteenth century, Theosophy seemed in that league, too." (Lachman 2008: 119) Blavatskys Die Geheimlehre - Die Vereinigung von Wissenschaft, Religion und Philosophie ([1888]/ 31893) finden Sie hier als pdf-Dateien - siehe ganz unten auf der Seite unter "Weblinks").

Es sei angemerkt, dass die russische TG im Jahre 1916 "Erziehungsmethoden für die junge Generation erarbeitet[e]. Sie wurden in der theosophischen Organisation »Vereinigung zur Erziehung eines freien Menschen« angewendet. Diese Vereinigung wurde 1917 in Petrograd gegründet. [...] Die Vereinigung wählte als Emblem das alt-arische Hakenkreuz, was etwa »es möge Licht werden« bedeutet. Das Kreuz des Feuers und des Lichts ist ein Symbol für tätige Liebe, für Schöpferkraft, die von der Passivität zur Aktivität übergeht. [...] Im Jahre 1919 wurde die Vereinigung durch die oberste Führungsgewalt der Sowjetregierung aufgelöst." (Fedjuschin 1988: 76f)

Für die Brücke vom russischen Mystizismus und dem darauf folgenden Symbolismus bis zu Gurdjieff und Ouspensky siehe auch das bereits erwähnte Kapitel "Die Weisen aus dem Osten" bei Webb ([1976]/ 2008: 183-256) und insbesondere Fedjuschin (1988). Für den Zusammenhang des russischen Symbolismus mit der Religiösität und dem "Konzept der »Sobornost«, d. h. der »Alleinheitlichkeit« der Kunst" siehe die Dissertation "Kunst-Leben". Der Einfluss der russischen "religiösen Renaissance" auf die Ästhetik und Kunst des Spätsymbolismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Russland von Elena Sadykowa. Sie zitiert den Dichter Andrej Bely (1880-1934) als einen "der ersten Theoretiker des russischen Symbolismus": "»Das Endziel der Kultur - ist nämlich eine Umgestaltung der Menschheit; in diesem Endziel trifft sich Kultur mit den letzten Zielen der Kunst und der Moral; Kultur verwandelt theoretische Probleme in praktische.«" (Sadykowa 2004: 11 mit Bezug auf: "Bely, A., Problema kultury (Problem der Kultur) // Bely, A., Simwolism (Symbolismus), Moskau 1994, Bd. 1, S. 53") Weiter heißt es: "Die symbolistischen Theorien der Literaten und die Philosophie der »neuen religiösen Gesinnung« bildeten die beiden einander beeinflussenden Richtungen, die das Phänomen der russischen kulturellen Renaissance ausmachten16. Geistiger Vater dieser beiden Richtungen war Wladimir Solowjew (1853-1900). Er hielt die religiöse Ausrichtung der Kunst, ja sogar ihre vollkommene Verschmelzung mit Religion allein für geeignet, das Leben der Menschen zu erneuern und zu heiligen." (Sadykowa 2004: 12, in Anm. 16 mit Bezug auf: "Lewitzkij, S., Otscherki po istorii russkoj filosofii (Essays über die Geschichte der russischen Philosophie), Moskau 1996, Bd. 2, S. 255) Fedjuschin bezeichnet F. M. Dostojevskij (1821-1881) als "geistigen[n] Vater des Symbolismus auf russischem Boden" und Solovjev als einen "andere[n] Vorbote[n] der religiösen Wiedergeburt in Rußland ..., den Rudolf Steiner den »reinsten und schönsten Repräsentanten des Christus-Volkes« nannte." (Fedjuschin 1988: 23). Die Verschmelzung von Kunst und Religion zur "Theurgie als Fortsetzung des Werkes Gottes, als Kunst der Weltschöpfung [...] fand ihre Fortführung in den zahlreichen Utopien der russischen Avantgarde zwischen 1910 und 1920." (Sadykowa 2004: 13) Bei Lachman finden wir die Hinweise: "In 1900, the Russian philosopher and visionary Vladimir Soloviev wrote a strange work, War, Progress, and the End of History, that included a short story, »The Antichrist.« Soloviev's prophetic visions were shared by the members of the Russian intelligentsia known as the »God-seekers.«" und "In The Russian Idea, written in exile during the dark days of World War II, Berdyaev remarks that »Russia has always been full of mystical and prophetic sects and among them there has always been a thirst for the transfiguration of life.«" (Lachman 2008: 131; siehe auch das Kapitel "Das religiöse Suchen der russischen Intelligenz" in Fedjuschin, S. 20-37)

Den oben erwähnten Begriff "Sobornost" führte A. S. Chomjakow (1804-60), "einer der bedeutenden Führer des Slawophilentums, Philosoph, Schriftsteller und Wissenschaftler" in die russische religiöse Philosophie ein. "Mit der Idee der »Sobornost« (Integrität, Ganzheit) verbanden die Gründer des Slawophilentums eine solche »integre Gesellschaft, in der die persönliche Freiheit mit den Eigenschaften der Individuen vereinigt wird [...], unter Bedingung der freiwilligen Unterordnung einzelner Personen den absoluten Werten und (unter Bedingung) ihres freien Schaffens, basierend auf der Liebe zur Ganzheit, zur Kirche, zum eigenen Volk, zum eigenen Staat.« Siehe: Losskij, N., Istorija russkoj filosofii (Geschichte der russischen Philosophie), Moskau 1991, S. 40; vgl. Maslin, M., Istorija russkoj filosofii (Geschichte der russischen Philosophie), Moskau 1991, S. 139" (Sadykowa 2004: 28, Anm. 44 + 45) Den deutschen Mystiker Jakob Böhme nennt Sadykowa als ersten deutschen geistigen Vorläufer des russischen Symbolismus (vgl. Sadykowa 2004: 40, 86 [mit Bezug auf Andrej Bely {eigentlich Boris Bugajew, 1880-1934}; siehe auch die Seiten 222-256 bei Fedjuschin], sowie bei Sadykowa 96 [mit Bezug auf Wjatscheslaw Ivanow, 1866-1949] und 109 [mit Bezug auf Nikolai Berdjajew, 1874-1948; siehe auch die Seiten 157-174 bei Fedjuschin], und schließlich bei Sadykowa 210 [mit Bezug auf Kasimir Malewitsch, 1878-1935]).

Im Epilog ihrer Arbeit sagt Sadykowa über die russisch-religiösen Philosophen und die Künstlergeneration von 1910 bis 1920: "Fast allen Künstlern war das Interesse an der deutschen Romantik und idealistischen Philosophie gemeinsam. Von der Mystik Meister Eckharts oder Jakob Böhmes fühlten sie sich ebenso angezogen wie von der magischen Bedeutung der Buchstaben und Zahlen der Kabbala. Außerdem waren sie sehr empfänglich für Okkultismus und Esoterik. Viele von ihnen standen sogar mit der Theosophischen oder Anthroposophischen Gesellschaft in Verbindung. Darüber hinaus bezogen sie ihre Inspiration aus der Kultur des Mittelalters und insbesondere aus der altrussischen christlich-orthodoxen Kunst." (Sadykowa 2004: 215) "Nikolaj Berdjaev hielt sich für einen Nachfolger des deutschen Mystikers Jakob Böhme, ..." (Fedjuschin 1988: 170f)

Eine wichtige Brücke wurde bereits Ende des 17. Jahrhunderts hergestellt: "Am Ende des 17. Jahrhunderts und Anfang des 18. Jahrhunderts strömten in das Moskauer Zarenreich wie eine unaufhaltsame Welle die Vertreter und Waren der westeuropäischen Kultur - von den Technikern und Werkzeugen bis zu den Büchern und Philosophen. Als einer von diesen Philosophen erschien in Moskau im Jahre 1689 der Vorläufer des russischen Rosenkreuzertums, der deutsche Mystiker Quirinius Kuhlmann (1651-1689). Er war ein überzeugter Nachfolger Jakob Böhmes, ein Theosoph und Chiliast. Kuhlmann kam auf den Gedanken, daß das sündige Babylon Westeuropa untergehen und ein Jesuelitisches Königreich entstehen würde. In den Gerüchten über das Wiederaufleben des nördlichen moskowitischen Volkes sah er die Morgenröte eines neu beginnenden Lebens. [...] Mit seinen Predigten böhmischer Ideen brachte er Aufruhr in das Deutsche Viertel von Moskau. [...] Der Einfluß Kuhlmanns beschränkte sich nicht nur auf das Deutsche Viertel. Nach seinem Tode begannen sich russische Übersetzungen der Werke von Jakob Böhme zu verbreiten." (Fedjuschin 1988: 41f; ergänzt sei folgendes Zitat: "Das Wirken der russischen Rosenkreuzer, die sich voll und ganz der Vertiefung der Lehre über die göttliche Allweisheit gewidmet hatten, wurde im Jahre 1827 offiziell unterbunden. In diesem Jahr hatte der russische Selbstherrscher Nikolaus I. (1796-1855) jegliche Logen in Rußland verboten." (Fedjuschin 1988: 46))

Die vorigen zehn Absätze sollten auf die Bekanntheit von Jakob Böhme in Russland hinweisen und ein wenig den geistig-atmosphärischen Hintergrund schildern, in dem sich Gurdjieff bewegt hatte. Nebenbei stellt sich die Frage, ob Gurdjieff das "seperate chapter on a certain »Soloviev«" (Moore 1991: 30) in seinen Begegnungen mit Gedanken an den oben genannten Wladimir Solowjew schrieb (die in seinen Begegnungen erwähnten Personen tragen zum Teil Phantasie-Namen und über die Identität der von Gurdjieff verwendeten Personen gibt es mehr Vermutungen als Wissen: "Er spielt auf die Gruppe der Wahrheitssucher an; bis heute wissen wir nicht, wer diese Jugendfreunde Gurdjieffs waren. [...] Denn, obwohl diese Erzählung zweifellos echt klingt, scheint es offnsichtilch, daß Gurdjieff die Spuren verwischen wollte ..." Anm. des Hg. von den Begegnungen [1960]/ 31984: 10; bei Bennett heißt es: "Seine Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen erheben nicht den Anspruch, in einem strengen Sinne autobiographisch zu sein. Der Zweck ist vielmehr, das Bild eines Wertsystems zu vermitteln, das sich von dem des modernen Menschen unterscheidet, und nicht, einen Bericht von Gurdjieffs eigenem Leben zu geben." Bennett [1973]/ 1976: 20). Die Erzählungen zur Reise mit Solowiew beinhalten sogar noch das zweite Unterkapitel "Der Tod Solowiews". Solowiew nimmt mit zwei Unterkapiteln in dem Hauptkapitel "Prinz Juri Lubowedsky" mit 43 Seiten den größten einer einzelnen Person gewidmeten Platz in dem gesamten Buch ein (und das geradezu versteckt in zwei Unterkapiteln). Bei Moore findet sich dazu der Satz: "All in all, the symbolists' 'Sarmoung Monastery' is such stuff as dreams are made of - though of course the better class of prophetic dreams, which have their place in any spiritual topography. The Sarmoung issue cannot simply be smiled away: as the purported source of Gurdjieff's profoundest insights, Sacred Dances and enneagram symbol it is central to his story." (Moore 1991: 32) Bennett sagte dazu: "Die Rolle Solowievs ist vom Anfang bis zum Ende phantastisch. Die Erzählung seines Todes - sein Hals wurde in der Wüste Gobi von einem wilden Kamel zernagt - wirft jede mögliche Chronologie über den Haufen." (Bennett [1973]/ 1976: 114)

Es gibt eine interessante geistige Verwandschaft zwischen dem 1900 verstorbenen Solowiew und Gurdjieff. "Durch seinen prophetischen Scharfblick sah Soloviev voraus, daß ein neuer Typus von Machthabern über menschliches Geschick in der historischen Arena auftauchen werde: der Redner-Demagoge, der Machtsüchtige, der über die Menge herrscht, und in dem deutlich die Charakterzüge der Diktatoren des XX. Jahrhunderts zutage treten - Lenins, Trotzkij's, Hitlers und Stalins." (Fedjuschin 1988: 26) Und Gurdjieff hatte in seiner dritten Buchserie, die er in den 1930ern mit den Erfahrungen des ersten Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise schrieb, eine "Sorge der wachsenden Mechanisierung des menschlichen Lebens, der Massenhypnose und der verlorenen Fähigkeit zu unabhängigem Urteil". (Bennett [1973]/ 1976: 285)

Vor allem aber gab es eine enge Verbindung zwischen Solowiew und Rudolf Steiner: "Die Leute, die anfangs der Russischen Anthroposophischen Gesellschaft beitraten, gehörten zu einem Kreis, der den Philosophen Vladimir Solovjev verehrte. Meistens besaßen sie akademische Bildung und glaubten daran, daß die Wissenschaft tief vom Geist Christi durchdrungen sein sollte. Im Werk Rudolf Steiners sahen sie eine Vereinigung der Mystik Solovjevs mit der exakten Wissenschaft, und deshalb erhielt die erste Anthroposophische Gesellschaft in Rußland den Namen Vladimir Solovjevs." (Fedjuschin 1988: 107)

Bennett vermutet ein direktes Zugehen Gurdjieffs auf die Theosophen: "Um schnell voranzukommen, machte er sich daran, das Vertrauen und die Unterstützung okkulter und theosophischer Gesellschaften zu gewinnen, die viele Anhänger hatten unter den Russen und anderen Menschen aus dem Westen, die in den bedeutenden Wachstumszentren wie zum Beispiel Taschkent lebten." (Bennett [1973]/ 1976: 117)

Außerdem: "Wenn man die bruchstückartigen Informationen zusammenfügt, scheint es, daß er sich 1910 und 1911 als ein berufsmäßiger Lehrer des Okkulten niedergelassen hatte mit Hauptsitz in Taschkent. [...] ... nur eine sehr begrenzte Auswahl von Menschentypen an okkulten und theosophischen Kreisen Interesse fände. [...] ... er mit den Menschen intensiver arbeiten müsste, als es bei den monatlichen Treffen der theosophischen Kreise möglich war." (Bennett [1973]/ 1976: 119, 122)

Insgesamt stellen die Absätze ab den Symbolen von Blavatsky und der Theosophischen Gesellschaft einen indirekten Weg dar, der zeigt, wie wir vermuten dürfen, dass Gurdjieff ein Wissen von der Theosophischen Gesellschaft gehabt haben muss. Der direkte Weg führt über Zitate von Gurdjieff zu unseren vier Körpern und zur Quersummenbildung bei der Erklärung des Enneagramm-Symboles:

"The first is the physical body, in Christian terminology the 'carnal' body; the second, in Christian terminology, is the 'natural' body; the third is the 'spiritual' body; and the fourth, in the terminology of esoteric Christianity, is the 'divine' body. In theosophical terminology the first is the 'physical' body, the second is the 'astral,' the third is the 'mental,' and the forth the 'causal.' 1
In the terminology of certain Eastern teachings the first body is the 'carriage' (body), the second body is the 'horse' (feelings, desires), the third the 'driver' (mind), and the fourth the 'master' (I, consciousness, will).
1 That is, the body which bears the causes of its actions within itself, is independent of external causes, and is the body of will." (Ouspensky 1949: 41)

"In Western systems of occultism there is a method known by the name of 'thesophical addition,' that is, the definition of numbers consisting of two or more digits by the sum of those digits. To people who do not understand the symbolism of numbers this method of synthesizing numbers seems to be absolutely arbitrary and to lead nowhere. But for a man who understands the unity of everything existing and who has the key to this unity the method of theosophical addition has a profound meaning, for it resolves all diversity into the fundamental laws which govern it and which are expressed in the numbers 1 to 10." (Ouspensky 1949: 283; siehe auch 286 und 289)

Und bei Webb finden wir: "Gurfjieff - witness his remark about the time he wasted on H. P. Blavatsky's The Secret Doctrine - had as much trouble as any other inquirer in sifting the grain from the chaff." (Webb 1980: 502)

Schauen wir uns nun das Siegel der TG und Gurdjieffs Zeichen im Vergleich an:

 


Deutlich sichtbar ist im linken Bild nichts Menschliches zu erkennen. Das einzige Lebewesen ist die Schlange. Ansonsten nur (geometrische) Symbole. Während das theosophische Symbol tote Geometrie + Schlange ist, ist das Gurdjieffsche Symbol durch Lebewesen + (hintergründige) Geometrie gekennzeichnet.



Schauen wir uns nun das Bild zu Kirchers Arithmologia im Vergleich mit dem Gesamtbild von Gurdjieffs Instituts-Bild an:

 

 

Im linken Bild dominieren ein Kreis mit Flügeln und ein Neunstern die Bildfläche. Im rechten Bild wird der Blick von einem Kreis mit darin enthaltenen Lebewesen angezogen. Fast im gleichen Augenblick nimmt das Auge zwei den Kreis umrahmende Figuren wahr, und auf den zweiten Blick wird das gegenständliche Allerlei, welches sich im unteren Drittel des Bildes befindet, sichtbar.

Im Gurdjieffs Bild ist vordergründig nichts Himmlisches zu erkennen, doch: "Ein Vortrag enthielt einen sehr bedeutsamen Hinweis auf »die Sufis«: »In einigen der alten Lehren wird gesagt, 'Als Gott den Menschen schuf, schuf er am gleichen Tag auch zwei Geister für jeden Menschen, den Geist Gottes und den Geist des Bösen oder Engel und Teufel, Seite an Seite. Den Engel setzte er auf die rechte Schulter und den Teufel auf die linke Schulter des Menschen.'«" (Bennett [1973]/ 1976: 163)

Interessant ist bei beiden Bildern auch der Blick auf das jeweils untere Bilddrittel:



Die linke Person hat auf den Beinen ein Buch liegen, in dem ein Fünfstern (Pentagramm) und ein Sechsstern (Hexagramm) zu erkennen ist. Auf dem selben Bild ist rechts unten neben einem den Betrachter anschauenden Tier eine Tafel mit den Ziffern 1234. Die rechte Person hat drei Vierecke mit den Ziffern 3, 4 und 5 vor sich und einen Zirkel in der rechten Hand. Auch dem mathematischen Laien wird deutlich: sowohl die linke als auch die rechte Person haben etwas mit Geometrie und Mathematik zu tun. Dem mathematisch Interessierten ist deutlich, dass dies Hinweise auf Pythagoras sind.



Anders verhält es sich auf dem unteren Bilddrittel des Gurdjieff-Bildes. Allgemein gesprochen, sehen wir hier ganz irdische 'Dinge des täglichen Gebrauchs' aus der Kunst (Musik & Malerei), der Naturwissenschaft und aus dem Handwerk.

Um dieses Irdische zu verstehen, empfehle ich, Ouspensky zu lesen (1949: 44-52 - hier geht es um den "Vierten Weg"). Zum Verständnis des Enneagramm-Symboles empfehle ich ebenfalls, die Originalseiten bei Ouspensky zu lesen (1949: 278-298 sowie 376-378). Das Kapitel 14 bei Ouspensky sollte jemand, der sich ernsthaft für das Enneagramm interessiert, gelesen haben (hier in englisch). Für Personen, die Anderen über das Enneagramm Vorträge halten, ist das eine unumgängliche Pflichtübung. Das Buch mit dem deutschen Titel Auf der Suche nach dem Wunderbaren ist laut Bennett "die maßgebende Zusammenfassung der Gurdjieffschen Ideen" (Bennett [1973]/ 1976: 5f). Zur leserischen Pflichtübung zählen auch die Seiten 200-227, 253-273 und 289-318 in: Bennett, J. G. ([1973]/ 1976): Gurdjieff - Der Aufbau einer neuen Welt, Freiburg: Aurum - diese Seiten enthalten die Kapitel "Das Gesetz der gegenseitigen Erhaltung", "Der Mensch", "Anhang I: Gurdjieffs Stil und Terminologie" und "Anhang II: Die großen Gesetze". Dieses letzte Kapitel, welches die Pentade enthält, ist eine notwendige Ergänzung zu Ouspenskys Enneagramm-Kapitel: "Die zwei Symbole - die Pentade und das Enneagramm - stellen das gesamte System des Weltalls als einen Schauplatz der Energieumwandlung (...) und der gegenseitigen Erhaltung (...) dar." (Bennett [1973]/ 1976: 317) Genauso wichtig ist schließlich auch das Kapitel "The Sources of the System" bei Webb 1980: 499-542.

Die rituellen Bewegungen der Tänzerinnen in Form des Enneagramm-Symboles stellen laut Bennett "die Überwindung des Zufalls durch die Wechselwirkung dreier Prozesse" dar. (Bennett [1973]/ 1976: 210, zur Bedeutung der "Bewegungen" und "der heiligen Gymnastik" in Gurdjieffs Lehre siehe auch S. 237-245)

Bennett benennt den tiefen Wert jeglicher kosmologischer Weltanschauung am Beispiel Gurdjieffs: "Das Traurige an jeder Weltanschauung, die alle Werte und alle Bedeutungen allein aus der menschlichen Erfahrung abzuleiten sucht, ist, daß sie keinen Sinn hat. Die Welt an sich ist zu groß und offensichtlich zu erregend, als daß man sie als einen Hintergrund für das menschliche Drama behandeln kann. Die enorme Bedeutung des Gurdjieffschen Schemas ist, daß es uns zeigt, wie wir eine zusammenhängende Erklärung von »All und Allem« geben können. [...] Das einzigartige Merkmal der Lehre Gurdjieffs besteht darin, daß er eine Verbindung herstellt zwischen der Selbstvollendung und der Erfüllung einer kosmischen Pflicht. Bewußtes Bemühen und absichtliches Leiden können sehr einfach als »Dienst und Opfer« ausgedrückt werden. Es sind die beiden Werkzeuge, durch die der Mensch umgewandelt wird." (Bennett [1973]/ 1976: 224, 225)

So sehr Gurdjieff auch vom Sufismus und Asien fasziniert gewesen war, so war er doch zutiefst Christ - auch wenn er nie gut von den christlichen Kirchen sprach. In einem Vortrag im Februar 1923 sagte er: "Das Programm des Instituts, die Kraft des Instituts und das Ziel des Instituts können in einem Satz ausgedrückt werden: Das Institut kann einem Menschen helfen, fähig zu sein, ein Christ zu sein. - Ganz einfach! Das ist alles!" (Bennett [1973]/ 1976: 152)

Gurdjieff ist das Original.
Alle nachfolgenden Enneagramm-Linien haben nur punktuelle Gemeinsamkeiten und stellen eine durch Oscar Ichazo beeinflusste Neuschöpfung eines Enneagramm-Mythos dar. Mit gutem Willen könnte auch von Weiterentwicklung gesprochen werden, denn wir finden bei Gurdjieff eine begonnene Typologie (siehe dazu den Abschnitt "Astrologie und Enneagramm" in der Langversion zur Wissenschaftlichkeit).



Diese Webseite enthält einen ergänzenden Herleitungsversuch für das Gurdjieffsche Enneagramm-Symbol. Vorbildcharakter für die Herleitung hat das sehr interessante Kapitel "The Sources of the System" bei James Webb (1980). Vieles von dem, was dort steht, habe ich nicht erwähnt. Beides sind begründete Herleitungsversuche, aber sie bleiben letztlich Spekulation. Webb schließt das Kapitel mit den Worten: "His vast cosmology was a creation of the times. We will not be wide of the mark if we guess that Gurdjieff put it together himself, although with the help of friends, from what are really the obvious sources; and, of course, as he liked to imply (his head cocked heavenward for signs of supernatural approval) with the Archangel Looisos watching." (Webb 1980: 542) Der Verweis auf eine höhere Quelle ist auch bei Blavatsky zu finden. Bei Ichazo war es ein Erleuchtungserlebnis. Das passt wunderbar zur "Story" eines wie auch immer Auserwählten, der etwas ganz Besonderes mitzuteilen hat.

Solange niemand einen anderslautenden Nachweis erbracht hat, gelten die Aussagen des Gurdjieff-Biographen James Moore und von Johannes Bartels. Moore schrieb: "Conclusion: although some future revelation cannot be ruled out, we may meanwhile decently hypothesise that the enneagram is sui generis and G. I. Gurdjieff, if not its author, is at least its first modern proponent." (Moore [1987]/ 2004: The Enneagram: A Development Study, Seite 2) Und Johannes Bartels stellt nüchtern fest: "Bis heute ist es trotz großer Bemühungen nicht gelungen, das Enneagramm in seiner heute geläufigen geometrischen Form für die Zeit vor dem 20. Jahrhundert nachzuweisen." (Bartels 2005: 16; einen Hinweis für diese Möglichkeit gibt Bartels in einer Anmerkung auf Seite 18 mit Verweis auf die Quellen: Kabbani, Shaykh Muhammad Hisham: The Naqshbandi Sufi Way. History and Guidebook of the Saints of the Golden Chain, Chicago 1995, S. 360f und ein Artikel des selben Autors im Enneagram Monthly 32 [Oktober 1997], S. 10)

Wenn laut Moore und Bartels bis heute niemand das von Gurdjieff verwendete Symbol in einer früheren Quelle gefunden hat, gehe ich davon aus, dass Gurdjieff den gleichmäßigen Neunstern in (s)ein neues Symbol geändert hat.



Es wäre folgerichtig, wenn das von Gurdjieff eingeführte oder erfundene Symbol ein "Markenzeichen" ist, das ausschließlich von der gurdjieffschen Enneagramm-Gemeinde verwendet wird.

Insbesondere den kirchlich orientierten Enneagrammern empfehle ich, den regelmäßigen Neuneck-Stern als Symbol zu nehmen und ihre eigene Enneagramm-Lehre weiter zu entwickeln - allerdings müssen Sie mit der Änderung des Symboles einiges Umschreiben, weil die wissenschaftlich ohnehin nicht haltbare Dogmatik der Fließrichtungen dann nicht mehr verwendet werden kann. Am freihesten wären sie, wenn sie von dem Neunstern und der Figur A abstrahierend



dieses Symbol




verwenden und jeweils die Verbindungslinien ziehen, die sich aus der Selbsterkenntnis ergeben.

In diesem Zusammenhang sei an eine Aussage erinnert, die Helen Palmer in ihrem ersten Buch im Kapitel "Die Grenzen des Typisierens" machte: "Das Enneagramm ist jedoch kein starres System, sondern ein Modell miteinander verbundener, eine dynamische Bewegung anzeigender Linien, in dem jeder von uns das Potential aller neun Typen - oder Punkte - in unterschiedlichem Maße besitzt, auch wenn er sich am stärksten mit den Themen seines eigenen Typs identifiziert. Darüber hinaus deutet die Struktur eines Sterns mit neun Spitzen, die untereinander durch Linien verbunden sind, an, daß jeder sich zwischen den Punkten frei bewegen kann. Die neun Punkte stimmen gut mit der heutigen psychologischen Typologie überein, und die sie verbindenden Linien weisen auf spezifische Beziehungen zwischen den verschiedenen Typen hin, mit deren Untersuchung in der aktuellen psychologischen Literatur gerade erst begonnen wird." (Palmer [1988]/ 1991: 27, eigene Hervorhebung)

Das Problem der heutigen Enneagramm-Praxis liegt womöglich darin, dass sie sich auf die Untersuchung der Verbindungslinien konzentriert hat und dabei die Beweglichkeit aus dem Blick verloren hat.

Es ergibt sich sogar ein Problem innerhalb des beweglich verstandenen Gurdjieff-Modells: "Gurdjieff versuchte, seinen Schülern ein Gefühl für das Enneagramm als Modell der ewigen Bewegung zu vermitteln. Auf dem Boden der Halle seines »Instituts zur harmonischen Entwicklung des Menschen« befand sich das Muster eines neunzackigen Sterns. Die Schüler stellten sich auf die von der Eins bis zur Neun numerierten Punkte des Kreises und führten komplizierte Bewegungsmuster aus, die die verschiedenen Beziehungen zwischen den Punkten und entlang der Zickzacklinie Eins-Vier-Zwei-Acht-Fünf-Sieben veranschaulichten. Es gibt Berichte von Schülern, die ihr Erspüren der inneren Rhythmen und der natürlichen Momente des Innehaltens und Neuausrichtens der Kräfte beschreiben, welche durch das Austanzen der Beziehungen zwischen Punkten und Linien hervorgebracht werden. Sie schreiben von einem körperlichen Erkennen, das entsteht, wenn die Aufmerksamkeit sich vom Denken abwendet und man völlig in den physischen Bewegungen des Tanzes aufgeht." (Palmer [1988]/ 1991: 32, eigene Hervorhebung)

Hier wird nichts von den Nummern Drei-Sechs-Neun berichtet, was auch Sinn macht, weil sie in keiner Linienverbindung zu dem unregelmäßigen Sechseck Eins-Vier-Zwei-Acht-Fünf-Sieben stehen. Dieses Problem hätten wir nicht, wenn wir die Figur A des Ramon Llull als Enneagramm-Symbol verwenden würden. Um den Blick nicht zu verwirren, sondern frei zu legen, macht auch hier wieder die abgewandelte Figur A Sinn:


 


Gurdjieff war nicht allein mit seinem spirituellen Angebot. Neben ihm gab es jemanden wie Hermann Keyserling und vor allem Rudolf Steiner mit seiner spirituellen Wissenschaft, der Anthroposophie. Die Tragfähigkeit einer Idee erkennen wir immer erst nach dem Tod ihres Erfinders. Gurdjieff hatte die Theosophie als eine Quelle und Steiner ließ die Anthroposophie aus ihr und in Abgrenzung zu ihr entstehen. Heute gibt es noch verstreute Gurdjieff-Gruppen auf der Welt. Die Anthroposophie hingegen ist eine Lehre, die in Bereiche des täglichen Lebens wie die Pädagogik, die Landwirtschaft und das Bankwesen hinein gewirkt hat. In der Psychologie ist Carl Gustav Jung die Persönlichkeit, die sich mit Okkultem und Spirituellem befasst hat und die bis heute durch Instrumente, die auf seiner Lehre gründen, in die Personalabteilungen von Unternehmen hineinwirkt. Webb kommentiert zu Gurdjieff und Jung: "The similarity is sometimes so marked that the two are said to have met; but Arnold Keyserling once secured a denial from Jung himself. The parallel stems chiefly from Jung's own occult reading, and particularly from his reliance on the Christian Gnostics." (Webb 1980: 536)



Für ein Verständnis des geistigen Klimas, in dem Gurdjieff und seine Lehre gedieh:

Fedjuschin, V. B. (1988): Rußlands Sehnsucht nach Spiritualiät, Schaffhausen: Novalis

Soboleva, M. (2007): Aleksandr Bogdanov und der philosophische Diskurs in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Zürich/ New York: Georg Olms

Die starke Betonung des mechanischen Menschen kann nicht anders als im Zusammenhang mit Iwan Petrowitsch Pawlow (1849-1936) verstanden werden. Pawlow/Pavlov hatte bereits im Jahr 1904 den Nobelpreis erhalten und der aus seinen Erkenntnissen hervorgegangene Behaviorismus kann als genau die Denkrichtung betrachtet werden, zu der Gurdjieff sich in Opposition stellte.

In Anknüpfung an Pavlov und Bogdanov ist der Film Menschenlabor Sowjetunion (2009) von Boris Rabin sehr interessant; zum Anschauen im Internet. Siehe auch:

Rüting, T. (2002): Pavlov und der Neue Mensch, München: Oldenbourg


Stand dieses Kapitels ist 2011-10-09.